Ballgefühl
Jede Tischtennisspielerin und jeder Tischtennisspieler spricht öfters von oder vom Ballgefühl und meint dabei etwas ganz bestimmtes.
Fragt man nun den Einzelnen, wie er den Begriff Ballgefühl definiert, so entsteht fast ausnahmslos eine länger Denkpause und danach die aufschlussreiche Antwort: “eben, einfach Ballgefühl!”
Als harter Gläubiger gab ich mich bisher mit dieser Antwort nicht zufrieden; ich wollte eine ganz exakte Definition.
Wer suchet, der findet; diese Aussage habe ich bisher immer als wahr bezeichnet. Deshalb begann ich zu suchen.
Zuerst in diversen Tischtennisfachbüchern. Ereignis: Man spricht in diesen Büchern seitenweise über Ballgefühl, aber eine Definition fand ich nirgends. Sollte ich also mit der Suche aufhören?
Nein, ich gab nicht auf, sondern versuchte mein Glück mit Lexika. Den Begriff Ballgefühl fand ich in keinem meiner Lexika. Ich überlegte: Ballgefühl ist ein zusammengesetztes Wort; deshalb suchte ich den Begriff Ball, und hier konnte ich lesen:
“Ball, Hugo, geb. 22.2.1886, gestorben 14.9.1927, dt. Dichter und Kulturkritiker.”
Weiter unten erscheint da Wort Ball nochmals:
“Ball, meist rundes, auch eiförmiges Sport- und Spielgerät, unterschiedlicher Grösse. Siehe auch unter Ballspiele”.
Auch dort wurde ich nicht fündig. – Nun suchte ich zum Begriff Gefühl:
“körperl., – seel. Grundphänomen des individuellen oder subjektiven Erlebens einer Erregung (Spannung) oder Beruhigung (Entspannung), jeweils mehr oder minder deutl. von Lust oder Unlust begleitet. Das G. hängt eng mit der Tätigkeit des vegetativen Nervensystems zusammen, die physilolog. Begleiterscheinungen sind hierbei z.B. Änderungen der Puls- und Atemfrequenz oder der Volumina einzelner Organbereiche. Die Funktion der G. besteht u. a. in der Enthemmung bzw. Aktivierung eine Induviduums.
Nun liebe Leserin, lieber Leser, da Sie mir bis hierher meinen Erläuterungen brav gefolgt sind, werden Sie echt belohnt: Sie gehören zu den Glücklichen, die den Begriff Ballgefühl von nun an klar definieren können. – Wie ? – Ganz einfach: Sie setzen nun die beiden Wörter Ball und Gefühl zum Begriff Ballgefühl zusammen:
Ballgeühl ist demnach:
“ein meist rundes, auch eiförmiges Sportgerät, welches meist von mehr oder weniger Lust oder Unlust geleitet ist und mit der Enthemmung bzw. Aktivierung eines Individuums………
S T OP! S T O P! S T O O O O P ! ! !
Dank diesen wissenschaftlichen Definitionen ist mir das Gefühl für den kleinen, runden Celluloid-Ball oder das Ballgefühl schlechthin restlos vergangen. Ist es Ihnen nun auch so ergangen?
Trösten Sie sich mit mir zusammen, denn es ist nun unser Glück, denn von nun an brauchen wir niemandem mehr diesen Begriff zu erläutern. Denn:
“Wir haben ja nun kein Ballgefühl mehr”
Ungefähr eine Woche später:
Ich komme nicht mehr von diesem blöden Begriff “Ballgefühl” los. Jede Nacht räume ich von hunderten weissen, riesengrossen Bällen, welche mich mit ihren dünnen, kalten Armen ergreifen wollen.
Es blieb mir nur noch der Gang zum Psychiater. Dieser deutete nun heute Morgen (für eine Honorarrechnung von Fr. 285.–) meinen Traum wie folgt:
“Ihnen mangelt es an Ballgefühl”
Nun frag ich Sie, wie soll ich mein Ballgefühl fördern, bzw. verbessern, wenn ich nicht genau weiss, was Ballgefühl ist und selbst dieser Begriff auf den 8600 Seiten von “Meyers grossem Lexikon” nicht zu finden ist?
Fall Sie mir helfen können, das Ballgefühl zu definieren oder sogar das Meinige zu fördern, so machen Sie bitte nicht lange und schreiben Sie mir.
In der Zwischenzeit verbleibe ich mit viel Gefühl und Ball, nein, mit viel Ballgefühl!
Heinz Hänni, 1989
Ob er sein Ballgefühl unterdessen (wieder-)gefunden hat?